CHRONIK DER LITAUISCHEN KATHOLISCHEN KIRCHE Nr. 26
In dieser Nummer:
2. Appell der Priester in Litauen an die Priesteranwärter
3. Grußworte an den „Weg der Wahrheit"
5. Nachrichten aus den Diözesen
6. „Verträge" der Religionsgemeinschaften
9. Material des Archivs der „Chronik der LKK"
Litauen, 19. März 1977
Aus Rom erreichte uns die Nachricht, daß Bischof Dr. Matulaitis-Labukas die Römische Kurie um eine Einladung zur Regelung litauischer kirchlicher Angelegenheiten gebeten habe. Es ist anzunehmen, daß es sich hierbei um die Neuernennung von Bischöfen handelt. In der Tat, die kirchlichen Angelegenheiten in Litauen sind alles weniger als normal. So wird z. Z. kein einziges litauisches Bistum von einem eigenen bischöflichen Ordinarius verwaltet. Der Mehrzahl der Diözesen stehen nicht Bischöfe, sondern Bistumsverwalter vor, und zwei der Bischöfe — J. Steponavičius und V. Sladkevičius — sind bereits seit über 15 Jahren ohne Gerichtsverfahren aus ihren Diözesen verbannt. Kann man es denn noch als normal bezeichnen, daß die Katholiken in Litauen weder mit Gebetbüchern noch Katechismen versorgt sind, daß den Jugendlichen der Atheismus aufgezwungen wird? Als unhaltbarer Zustand kann gelten, daß Dr. V. Butkus, dessen schlechter Ruf weit über die Grenzen unseres Vaterlandes reicht, die Führung des Priesterseminares übertragen wurde.
Die „Chronik der LKK" fühlt sich als einziges freies Organ der Gläubigen und der Geistlichkeit zu der Äußerung berechtigt, daß Litauen keine neuen Bischöfe, sondern neue Priester braucht. Bischöfe nehmen in dem sowjetischen System keine stärkere Position zur Wahrnehmung der kirchlichen
Angelegenheiten ein als gewöhnliche Priester — Bistumsverwalter. Bereits litauische Kinder wissen, daß die Priester nicht von den Bischöfen oder Bistumsverwaltern, sondern von dem Atheisten K. Tumėnas, einem getreuen Werkzeug des Staatssicherheitsdienstes, in die Pfarreien eingewiesen werden. Die Behauptung ist nicht übertrieben, daß zur Weihung der wenigen Kleriker und des Weihöles in Litauen ausreichend Bischöfe zur Verfügung stehen. Die Zukunft der Kirche Litauens hängt nicht von der Anzahl ihrer Bischöfe oder Bistumsverwalter ab, sondern von der seelsorgerischen Tätigkeit einfacher Priester, die sich dieser Aufgabe voll und ganz widmen. Mit dem Bischofs-Violett versucht die gottlose Regierung zur Zeit nur die Tragödie der katholischen Kirche Litauens vor der Weltöffentlichkeit zu verschleiern. So wie die Lage zum jetzigen Zeitpunkt aussieht, wird Moskau sogar schon bei mittelmäßigen, ganz zu schweigen von guten Kandidaten, von seinem Vetorecht für das Amt eines Bischofes Gebrauch machen. Die Neuernennung von Bischöfen ist demnach für die Kirche vollkommen belanglos.
Uns erreichen betrübliche Nachrichten über das Priesterseminar und die in letzter Zeit dort vorherrschende Geisteshaltung. Ohne konkrete Beispiele nennen zu wollen, möchten wir doch unsere Brüder ermahnen, geistig nicht zu vergreisen. Nur einen alternden Menschen verlangt es übertrieben nach Ruhe, Bequemlichkeit, Wärme und gutem und ausreichendem Essen. Die Jugend muß vorwärtsstreben, ohne Rücksichtnahme auf erschwerte Lebensverhältnisse muß sie von ihrer Lebensaufgabe durchdrungen sein. Frühere
Jugendgenerationen sind beispielgebend, sie schufen Zirkel, schrieben, kritisierten, diskutierten, Gejammer über schwierige Bedingungen gab es damals nicht! Alle litten unter der Versklavung des Vaterlandes. Ohne an Essen und Kleidung zu denken, widmete man seine ganze Kraft der Herausgabe und Verbreitung von Schrifttum.
Litauen braucht tatkräftige und durchgeistigte Priester, um den Priestermangel zu beheben. Wie viele Priester und Bischöfe sind durch ihre Treue zu Kirche und Vaterland zu Märtyrern geworden, wie viele von ihnen sterben einen vorzeitigen Tod, weil sie der Aufenthalt in den Archipel-Gulag-Lagern ausgelaugt hat. Nidit Weichlinge, sondern junge Leute, die vor jugendlichem heiligen Idealismus brennen, sollten an deren Stelle treten. Ihr sollt doch einmal das Volk geistig aufrichten, furchtlos gegen den Geist der Lüge, der Gewalt, des Hasses und der Unterdrückung antreten. Wie könnt Ihr das jemals meistern, wenn Ihr bereits jetzt in Trägheit und Eigenliebe versinkt?!
Ende Januar 1977 erschien in Litauen eine neue, den Priestern gewidmete Zeitschrift: Tiesos kelias (Weg der Wahrheit). Ihre Aufmachung erinnert an die „Chronik der LKK" u. a. Schrifttum des Untergrundes. Der „Weg der Wahrheit" möchte nach dem Wunsche der Herausgeber „ein Fenster sein, durch welches mehr Licht in das Leben der Priester gelangen soll". Die Zeitschrift verspricht den Priestern einen Meinungsaustausch über seelsorgerische Erfahrungen, Berichte über Neues in Theologie und Philosophie sowie Mitteilungen aus der katholischen Welt.
Die Lektüre der Nummer 1 des „Weg der Wahrheit" erweckt einen guten Eindruck — die Herausgeber greifen aktuelle Fragen auf, die sie sachlich behandeln.
Mit Genugtuung kann festgestellt werden, daß der „Weg der Wahrheit" genau zum richtigen Zeitpunkt erscheint, da die Sowjetregierung die Herausgabe einer offiziellen Zeitschrift für Priester plant, die dem „Journal des Moskauer Patriarchates" gleichen soll. Derartiges Schrifttum ist den litauischen Priestern unerwünscht.
Die „Chronik der LKK" fordert alle Priester auf, sich aktiv an der Herausgabe und der Verbreitung des Tiesos kelias (Weg der Wahrheit) zu beteiligen.
Anfang 1977 wurden in den Wohnungen folgender Personen Haussuchungen vorgenommen:
1. bei Frau Ona Grigaliūnienė in Kaunas,
2. bei Leonardas Stovskis in Kaunas, LTSR 25-čio Str.,
3. bei Jonas Petkevičius in Šiauliai; requiriert wurden u. a. ein Fotoapparat sowie Papini's Kristus istorija(Geschichte des Christus),
4. bei Balys Gajauskas, in Kaunas, Spynu Str. 3—8.
Zu Beginn des Jahres 1977 wurde in Panevėžys Frl. Ona Pranckūnaitė verhaftet.
Weitere Angaben über diese Haussuchungen und die Verhaftung von Ona Pranckūnaitė stehen der „Chronik der LKK" nicht zur Verfügung.
Abbildung (im Original):
O. Pranckūnaitė, verhaftet im Januar 1977.
Vilnius
Von der Zeitschrift Dievas ir Tėvynė (Gott und Vaterland) kam die Nummer drei heraus. Der Artikel Žmonija visaida tikėjo i Dieva (Die Menschheit glaubte seit jeher an Gott) ist eine Antwort auf die in dem
Buche von S. Markonis Netiesa sakote, kunige! (Sie sagen die Unwahrheit, Priester!) enthaltenen Anschuldigungen.
Den größten Teil der Ausgabe bestreitet der Artikel: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben"; gestützt auf verschiedene Quellen, wird hierin die Geschichtlichkeit Christi nachgewiesen.
Der Artikel Kas tas ateizmas? (Was ist das, Atheismus?) zeigt an Beispielen, wie der Atheismus von weltberühmten Leuten, im Lebensalltag und in der Heiligen Schrift eingeschätzt wird.
Der Artikel Tikejmas — amžnoji šviesa (Glaube ist das ewige Licht) enthält
eine Kritik des Telefilms Ar tiki (Glaubst du?).
Die Ausgabe hat ein mittleres Format und umfaßt 68 Seiten.
Im Jahre 1948 wurde von der Regierung angeordnet, an allen Kirchen ein „Zwanzigergremium" der Gläubigen zu bilden, denen nach einem von der Regierung aufgestellten „Vertrag" erlaubt wurde, die von der Regierung enteigneten Kirchen zu mieten. Bei Weigerung seitens dieses Zwanzigergremiums den Vertrag zu unterzeichnen, wurde mit der Schließung der Kirche gedroht. Niemand zweifelte daran, daß Stalin seine Drohung auch wahrmachen werde. Das Land stand unter Terror — die Leute wurden nach Sibirien deportiert, Gefängnisse und Kellerverließe waren vollgepfropft mit unschuldigen Menschen, auf den Plätzen der Städte wurden die geschändeten Leichen der Freischärler ausgestellt, ein Drittel der Priester beschritt den Weg der „Gulag". Der einzige in Litauen verbliebene Bischof, Kazimieras Paltarokas, hat, um Priester und Gläubige zu schützen, niemals ernsthaften Widerstand gegen die Unterzeichnung dieser aufgezwungenen „Verträge" geleistet.
Nachfolgend der Wortlaut dieses den Gläubigen Litauens aufgezwungenen „Vertrages":
„1. Wir, die Unterzeichner, verpflichten uns, das uns übergebene Gebethaus samt dem zu ihm gehörenden Besitz pfleglich zu verwalten und ohne Ausnahme lediglich zweckentsprechend zu nutzen. Wir übernehmen die Verantwortung für die Erhaltung und den Schutz des uns anvertrauten Gutes und für die Einhaltung sämtlicher durch den Vertrag entstandener Verpflichtungen.
2. Wir verpflichten uns, das Gebäude lediglich zu religiösen Kultzwecken zu nutzen, indem wir dieses Recht auch allen anderen Personen dieses Glaubensbekenntnisses zugestehen, und nicht zulassen, daß die religiösen Zeremonien von nicht in dem Rat für Religiöse Kultangelegenheiten bei dem Beauftragten des Ministerrates der UdSSR für die Litauische Sowjetrepublik gemeldeten Kultdienern vorgenommen werden.
3. Wir verpflichten uns, alles zu tun, damit der uns übergebene Besitz niemals zu anderen als zu den in Punkt 1 und 2 des Vertrages vorgesehenen Zwecken genutzt wird.
Šlavantai
An den Staatsanwalt der Litauischen SSR Kopie an S. Exz., den Bischof L. Povilonis
Erklärung
von Priester J. Zdebskis
Anfang Dezember 1976 suchten mein Haus vier nicht weiter zu charakterisierende Bürger auf, darunter einer in Milizuniform. Ich war gerade abwesend, sie trafen nur meine Mutter und einige Gäste an. Ohne sich vorzustellen, durchstreiften sie sämtliche Zimmer meiner Wohnung, wobei sie einige bedrohliche und meine Gäste beleidigende Ausdrücke fallen ließen. Bei ihrem Fortgang hinterließen sie weder eine Order zur Legitimation dieser Haussuchung noch eine Haussuchungsakte.
Eine ähnliche Operation wurde vor wenigen Tagen wiederholt, jedoch in anderer Besetzung. Unter den Durchsuchungsbeamten befand sich diesmal auch der Direktor der Mittelschule von Šlavantai, J. Petrauskas. Ich bitte den Staatsanwalt, dieses Vorkommnis aufzuklären und besagten Personen die sowjetischen Gesetze ins Gedächtnis zu rufen.
Šlavantai, 20. Dezember 1976 J. Zdebskis
Pfarrer von Šlavantai
Žemaitkiemis (Rayon Ukmergė)
Am 6. Juni 1976 fand in der Pfarreikirche von Žemaitkiemis die Primiz-feier des Priesters Vytautas Kapočius statt. An den Feierlichkeiten nahmen auch die Schüler der Acht-Klassen-Schule von Žemaitkiemis teil. Die
Schülerin der achten Klasse, Roma Šlaitaitė, trug in der Prozession einen kleinen Altar. Eine Woche später wurde das Mädchen in der Schule von der Lehrerin Ana Ulozienė und dem Schuldirektor Stasys Misiūnas ins Verhör genommen. Die Lehrer erkundigten sich bei Roma, wer sie zur Teilnahme an der Prozession veranlaßt und wer ihr das Kleid besorgt habe und noch nach anderen Kleinigkeiten. Die Schülerin soll zur Antwort gegeben haben, daß sie aus freiem Willen die Kirdie besuche und in der Prozession mitgegangen sei.
Eine Schülerversammlung der 8. Klasse wurde einberufen, um zu beschließen, wie die „Täterin" zu bestrafen sei. Die Mitschüler schlugen vor, Roma schriftlich einen Verweis zu erteilen, doch die Komsomolzin Danguolė Šniraitė legte Protest ein: „Das ist zu wenig! Ich plädiere für einen strengen Verweis." Roma Šlaitaitė erhielt eine auf „genügend" verminderte Betragsnote und in ihre Charakteristik wurde eingetragen: „Roma ist, als sie noch jünger war, von den Eltern zum Kirchgang erzogen worden, sie ist als Schülerin nicht prinzipientreu."
Der Schuldirektor Misiūnas führt einen erbitterten atheistischen Kampf. Während der vorösterlichen Fastenzeit werden den Schülern der Klassen eins bis acht atheistische Vorträge gehalten.
Abbildung (im Original):
Der 1961 ermordete Priester V. Šamšonas.
Imbradas
Sechzehn Jahre nach dem Tode des Pfarrers V. Šamšonas.
Zehn Kilometer hinter Zarasai in Richtung Obeliai liegt das Kirchdorf Imbradas. Rings um die Holzkirche liegen die Gräber der Ahnen. Hier befinden sich auch die Ruhestätten der Priester. Der letzte Pfarrer wurde hier vor sechzehn Jahren begraben. Auf dem Grabe steht ein Steinkreuz mit der Inschrift:
Seeligen Angedenkens Priester Vytautas — Antanas Šamšonas
17. August 1912 bis 28. Januar 1961
Gottes unendliche Liebe möge ihm Ruhe gewähren.
Dem langjährigen Pfarrer von Imbradas
die dankbare Pfarrgemeinde
Er war noch jung, erst 48 Jahre alt, als ihn der Tod einem arbeitsreichen Leben entriß.