CHRONIK DER LITAUISCHEN KATHOLISCHEN KIRCHE Nr. 31
In dieser Nummer:
1. K G B und das Priesterseminar.
3. Wozu brauchen wir die neuen Verträge?
4. Nachrichten aus den Diözesen.
5. Wen stört der Bildstock von Šeduikis?
6. In der sowjetischen Schule.
7. Vorwürfe gegen die „Chronik der LKK".
Litauen, 2. Februar 1978.
Die Nachrichten, die uns aus dem Priesterseminar von Kaunas erreichen, sind nicht erfreulich. Der KGB versucht auch weiterhin mit allem Eifer, die Kleriker des Seminars als Agenten des Sicherheitsdienstes anzuwerben. Den Kandidaten des Seminars gegenüber haben die Tschekisten sich nicht geschämt, geradeheraus zu sagen: „Wenn du nicht für uns arbeitest, dann kommst du nicht in das Seminar". Die Kleriker des Priesterseminars werden gezwungen, schriftlich zu versprechen, daß sie laufend den Sicherheitsdienst interessierende Informationen liefern werden.
Dank des KGB und des Rates für religiöse Angelegenheiten (RRA) ist eine beachtliche Gruppe von Kandidaten in das Priesterseminar gekommen, die für die Priesterweihe ganz und gar ungeeignet sind, da sie die guten Kleriker terrorisieren. Die Seminarleitung scheut sich aus Furcht vor Repressalien, solche Kleriker aus dem Seminar zu entfernen. Das Schmerzlichste ist, daß früher einige ähnliche Seminaristen die Priesterweihe erhalten haben, obwohl die Bischöfe, die die Weihe spendeten, wußten, daß dies sogar das Kirchenrecht für einige verbietet.
Man muß der Seminarleitung danken, daß sie vor Weihnachten 1977 den Kleriker des IV. Kursus, R. Jakutis, vom Seminar verwiesen hat, der in den Ferien getrunken, sich schlecht aufgeführt hat und von den Klerikern für einen Agenten des KGB gehalten wurde. Man kann den Verwalter des Erzbistums Vilnius, Č. Krivaitis, sowie andere nicht verstehen, die während einer Sitzung im Seminar diesen Kleriker verteidigt haben. Die passive Haltung von einigen Dozenten und Ordinarien während dieser Sitzung ist ein Zeichen, bis zu welchem Grad sie den Forderungen des KGB Zugeständnisse dafür machen.
Einer der Dozenten des Priesterseminars hat den Ausspruch getan, daß „wir uns den Luxus nicht leisten können, Kleriker durch das Tor hinauszuwerfen". Es ist jetzt wirklich so, daß jeder Priester, der seine Tätigkeit antritt, für die Kirche sehr wertvoll ist, aber es ist doch ganz klar, daß moralisch tiefstehende oder für den KGB arbeitende Kleriker nicht dem Wohl der Kirche dienen werden.
Die Untersuchungen gegen Balys Gajauskas, die von Major Pilelis geleitet werden, sind abgeschlossen, und die Sache wurde dem Gericht übergeben. Es hat den Anschein, daß die Gerichtsverhandlung Ende Februar oder Anfang März stattfinden wird.
B. Gajauskas wird beschuldigt, mit dem Fonds Solženicyns und dem Archiv der Partisanen Litauens Verbindung gehabt zu haben. Nach Neujahr sind der Untersuchungsrichter Pilelis und der Oberst Kezys zum Sicherheitsdienst in Kaunas gekommen, um die Mutter und die Verlobte von Balys zu verhören. Wegen Erkrankung der Mutter ist der Untersuchungsrichter in die Wohnung gekommen. Laut Untersuchungsrichter Kezys wartet auf Balys eine Lagerstrafe von 10 Jahren.
Balys Gajauskas hat 25 Jahre in Lagern zugebracht und ist am Leben geblieben. Jetzt will der KGB ihn vernichten. Deshalb ist es eine heilige Pflicht aller Menschen guten Willens, sich für diesen guten, sauberen und ganz dem Vaterlande hingegebenen Litauer und Katholiken mit allen möglichen Mitteln einzusetzen. Balys Gajauskas kann mit Recht als ein Vorkämpfer des leidenden und Widerstand leistenden Vaterlandes bezeichnet werden. Wir hoffen und erwarten, daß unsere Brüder in der Emigration, insbesondere Simas Kudrika, der den Balys gut kennt, alles unternehmen werden, damit Balys Gajauskas befreit oder in das Ausland entlassen wird. Eine erneute Lagerstrafe würde für ihn dem Todesurteil gleichkommen.
Am 19. November 1977 wurde Povilas Petronis aus dem Lager entlassen. Er war 1974 verurteilt (s. „Chronik der LKK", Nr. 13) wegen Herstellung von Gebetbüchern und Vervielfältigung illegaler Literatur. Vor seiner Entlassung wurde er einen Monat lang psychologisch im Sitz des KGB in Vilnius bearbeitet.
1948 hat die Sowjetregierung die Pfarrgemeinden gezwungen, „Zwanzigerräte", Exekutivorgane zu wählen und mit den Exekutivkomitees der Gemeinden und Städte einseitige Verträge abzuschließen.
1975 wurde eine Aktion zur Erneuerung der Verträge gestartet, die bis heute andauert. Im vergangenen Jahr wurden wiederum die Verträge erneuert, sogar solche, die erst 1975 abgeschlossen waren.
Wir zitieren die Verfügung des Bevollmächtigten des Rates der Litauischen SSR, T. Tumėnas, an den Stellvertretenden Vorsitzenden des Exekutivkomitees des Rayon Vilkaviškis, Urbonas:
,,Da die Verträge der in Ihrem Rayon befindlichen Religionsgemeinschaften mit dem Exekutivkomitee des Deputiertenrates der Werktätigen veraltet sind, bitten wir, dieselben neu abzuschließen. Wir erinnern daran, daß der Vertrag in drei Exemplaren ausgefertigt werden muß: ein Exemplar wird dem Amt des Bevollmächtigten des Rates zugeschickt, das zweite verbleibt bei der Religionsgemeinschaft, das dritte — im Exekutivkomitee des Rayons. Wir bitten die Verträge bis zum 15. Dezember 1977 neu zu schließen.
22. April 1977 Bevollmächtigter des Rates, K.Tumėnas"
Kaunas
Am 9. Januar 1978 hat der Einwohner von Jonučiai (Rayon Kaunas), Juozas Vitkūnas, den Priester Vincentas Jalinskas zur Einweihung seines Hauses eingeladen. Aus diesem Anlaß sind viele Gäste gekommen, besonders Jugendliche und Schüler, zu denen der Priester über religiöse Themen gesprochen hat. Plötzlich, mitten im Gespräch, ist ein uniformierter Milizbeamter in das Zimmer eingedrungen. Ihm folgten noch zwei Milizbeamte und einige Beamte in Zivil. Ein geschlossener Milizwagen fuhr vor, andere Autos mit Milizsoldaten und Sicherheitsdienstbeamten folgten. Das Haus wurde umzingelt und der Weg bis zur Hauptstraße umstellt. Der ins Zimmer eingetretene Milizmann verlangte nach dem Hausherrn und wies mit dem Finger einige Erwachsene an, in ein anderes Zimmer zu gehen. Sie wurden verhört: woher sie gekommen seien, wie ihr Name laute u.a. Die Befragten erklärten, daß sie kein Vergehen begangen hätten und ihre Namen nicht sagen wollten. Eine Teilnehmerin der Versammlung sagte zu den Eindringlingen: „Sind wir denn Verbrecher? Ihr habt kein Recht, so einzudringen und die Menschen zu erschrecken!" Daraufhin antwortete der Mann vom Sicherheitsdienst: „Dich werden wir separat zur Ordnung bringen!" Hochw. V. Jalinskas verlangte von den Eindringlingen ihre Papiere vorzuzeigen. Der Sicherheitsdienstbeamte wies seinen Dienstausweis vor und erklärte, daß er das Recht habe, die Versammelten zu vertreiben, denn eine solche Versammlung sei verboten. Als die Beamten den Priester aufforderten, sich anzuziehen und in den Wagen zu steigen, konterte dieser: „Weder wir Erwachsenen werden mitfahren, noch geben wir die Kinder her!" Die Milizbeamten versuchten, die Erwachsenen mit Gewalt in den Wagen zu zerren. Unterdessen haben die Kinder hinter der Wand gesungen: „Du gaideliai" (Zwei kleine Hähne), „Jurgeli, meistreli" (Jörgelein, Meisterlein) u.a. Einer Gruppe von Kindern ist es gelungen, zu flüchten, aber die anderen wurden von den sorgfältig alle Zugänge bewachenden Beamten zurückgehalten. Nachdem der erste Schreck vorbei war, fingen die Teilnehmer der Zusammenkunft an, über die Beamten zu spötteln und gingen nicht auseinander. Die Eindringlinge forderten sie auf, auseinanderzugehen und notierten sich die Namen der Gehenden. Die Mehrheit nannte erdachte Namen. Zum Verhör hat man nur zwei Erwachsene mitgenommen.
Eine Miliz, die Kindern nachjagt, — welch' eine „schöne" Illustration der Glaubensfreiheit im heutigen Litauen!
Alvydas Šeduikis ist der Organist der Kathedrale von Telšiai. Vor seinem Hause in der Pionierstraße stellte er einen Bildstock mit einem Rūpintojėlis (Fürsprecher, geschnitzte sitzende Jesusfigur) auf. Bereits einen Monat später, am 17. November 1977, verlangte die Vorsitzende des Exekutivkomitees von Teisiai, E. Janušauskienė, die Entfernung des Bildstocks, weil für seine Errichtung keine Genehmigung des Architekten vorliege. Šeduikis kam der Anweisung des Exekutivkomitees nicht nach, was zu Protokoll genommen wurde. Weiterhin wurde zu Protokoll genommen, daß auch Danutė Dargužaitė einen Bildstock auf dem Telscher Friedhof aufgestellt hatte. In diesem Falle fehlte die Genehmigung des Architekten allerdings nicht. Dargužaitė wurde jedoch vorgeworfen, den Architekten irregeführt zu haben, da in der vorgelegten Skizze des Bildstocks die Christusfigur nicht eingezeichnet gewesen sei. Gegen Bildstöcke ohne christliche Symbole hat man anscheinend nichts einzuwenden. Nachstehend bringen wir den vollen Wortlaut der beiden an den Beauftragten des Rates für religiöse Angelegenheiten gerichteten Schreiben, in denen A. Šeduikis für sein Recht zur Aufstellung eines Bildstocks streitet:
Erklärung
Dem Betrachter von Photobänden, deren Sujet das litauische Dorf ist, sowie von Bildmappen mit Reproduktionen litauischer Landschaftsgemälde aus älterer Zeit, läßt ein stets wiederkehrendes Motiv der Kleinarchitektur in diesen Bildern keinen Zweifel aufkommen, daß es sich hierbei um Ansichten aus Litauen handelt und keinesfalls um die aus einem anderen Lande. Gemeint sind die kunstvoll verzierten Kreuze sowie die koplytėlės Bildstöcke in Form einer kleinen Kapelle) und Stogastulpiai (übedachte Bildstöcke), stetige Begleiter des litauischen Menschen seit Jahrhunderten. In diesen wunderbaren Kunstwerken offenbart sich die schöpferische Kraft des litauischen Volkes. Diese Kunstwerke haben weltweite Anerkennung gefunden und Litauen in der Welt berühmt gemacht. Die Meinung einiger Kunstexperten soll nachstehend wiedergegeben werden. So schrieb B. Ginet-Pilsudsky im Jahre 1916: „In der 1. Hälfte des 19. Jhs. standen in Schemaiten die Kreuze so dicht beieinander, daß die Zwischenräume kaum mehr als einige zehn Meter betrugen" (Archives suisses des traditions populaires, Band 20). Dies veranlaßte den polnischen Geographen V. Pol, Schemaiten als „heiliges Land Gottes" zu bezeichnen. Ein französischer Schriftstreller, der im Jahre 1926 Litauen bereiste, fand „die Vielzahl der Kreuze und Bildstöcke ganz erstaunlich. Sie stehen in jedem Vorgärtchen, an jedem Feldrain und an jedem Wege, ihre Mannigfaltigkeit ist unendlich, das verleiht ihnen einen großen Zauber" (J.Maudėre, Sous le ciel pale des Lithuanie). In der einschlägigen Literatur des 20. Jhs. wurde dieser ethnographischen Besonderheit Litauens stets die gebührende Aufmerksamkeit geschenkt, denn Litauen ist ohne seine Kreuze und Bildstöcke unvorstellbar.
In Litauen wird die atheistische Propaganda zusehends aktiver. Der Verwaltungsapparat der kommunistischen Besatzungsmacht sucht ständig nach neuen verfeinerten Arbeitsmethoden. Man will den Eindruck erwecken, daß es an der atheistischen Propagandafront keinen Druck von oben gebe, daß die atheistische Propaganda wissenschaftlich ausgerichtet sei und man ausschließlich nach marxistischen Grundsätzen verfahre.
Zu Beginn des Schuljahres 1977/78 wurden die Direktoren der Mittelschulen beauftragt, eine genaue Analyse der religiösen Eltern-Kind-Beziehung in der Familie und außerhalb derselben vorzunehmen. Um den Eindruck einer Dienstanweisung von höherer Stelle zu vermeiden, versuchte die Schulleitung die erhaltenen Anweisungen über Atheismusbeiräte (derartige Beiräte, bestehend aus einigen Mitgliedern, denen ein vom Direktor gestellter Vorsitzender vorsteht, fungieren in sämtlichen Schulen) zu verwirklichen. Zur Ausführung dieser Anweisungen soll nicht nur die Gesamtzahl gläubiger Eltern und Schüler festgestellt werden, sondern auch der Grad ihrer Religiosität. Der Grad der Religiosität soll hierbei die Eltern in ein Gespräch ziehen und sich ein Bild über die religiöse Ausstattung der Wohnung machen u.a.m. Auch mit den Schülern sollen Gespräche geführt oder Fragebögen an sie verteilt werden (die Fragen sind nicht genau festgesetzt), um folgende Auskünfte zu erlangen: sind nicht genau festgesetzt), um folgende Auskünfte zu erlangen:
1. über die Gläubigkeit der Familien,
2. über Familien, die ihre Kinder zum Kirchenbesuch anhalten,
3. über Familien, die eigentlich nicht gläubig sind, die Kirche jedoch aus Tradition aufsuchen,
4. über Familien, deren Kinder nicht zur Kirche gehen und doch gefirmt werden,
5. über Familien, deren Kinder nicht nur am Kirchgang, sondern auch aktiv am religiösen Leben teilnehmen, z.B. Meßdienste versehen, im Kirchenchor singen etc., und
6. eine gründliche Analyse ist vorzunehmen, wie stark die religiöse Bindung der Schüler und ihrer Eltern ist: ob diese die Religion aus Überzeugung praktizieren oder lediglich aus traditionellen Gründen, ob die Schüler zur Kirche aus eigenem Antrieb oder mehr auf Wunsch der Eltern gehen.
Zum Jahresende 1977 erschien im Selbstdruck eine kleine Broschüre „Die Kirche und die Chronik der LKK". In sämtlichen Aufsätzen dieser Veröffentlichung wird auf die eine und andere Weise die „Chronik der LKK" angegriffen. Die Hauptanklagepunkte bestehen im folgenden: die „Chronik der LKK" spalte die Kircheneinheit, sie schmähe Priester und Bischöfe und untergrabe das ihnen entgegenzubringende Vertrauen, außerdem habe sie „das Ansehen eines mächtigen Staates" verletzt, u.s.w. Bis zum Erscheinen der „Chronik der LKK" ging es den Kollaborateuren des KGB ganz ausgezeichnet: man konnte unbesorgt die Unwahrheit bezüglich der „Freiheit" der Gläubigen in Litauen verkünden, in Berlin „den Frieden verteidigen" und niemand prangerte offen dieses Benehmen an. Jetzt hat die „Chronik der LKK" einen Strich durch die Rechnung gezogen, und sie beabsichtigt dies auch in Zukunft zu tun.
Die „Chronik der LKK" möchte bei dieser Gelegenheit folgendes erklären:
Die Spaltung der Kircheneinheit wird nicht durch die „Chronik der LKK", sondern durch das KGB und seine Kollaborateure herbeigeführt.
Die „Chronik der LKK" deckt nicht verborgene persönliche Vergehen der Geistlichkeit und der Regierungsfunktionäre auf, sondern sie spricht über öffentlich bekannte Ärgernisse. Die verlorene Autorität kann nicht durch Heuchelei, sondern nur durch Einsicht gerettet werden.
Die „Chronik der LKK" begleicht keine persönlichen Rechnungen mit Bischöfen und Priestern. Sollte ein sich der Gesellschaft gegenüber schuldig gemachter sowjetischer Funktionär, ein Lehrer oder ein Priester sich bessern, so würde die „Chronik der LKK" das begrüßen.
Wenn die „Chronik der LKK" nur die Fälle der Verfolgung der Gläubigen und die Taktlosigkeiten der Lehrer gegenüber ihren Schülern anprangerte, aber zu den von Priestern — Kollaborateuren des KGB — begangenen Verbrechen, die die Kirche nicht minder untergraben, schwiege, so würde sie sich schuldig machen und nicht der Kirche, sondern den Atheisten zu Diensten sein.
1. In der „Chronik der LKK", Nr. 30, wurde die Anschrift von O. Prank-künaite falsch wiedergegeben. Ihre richtige Adresse steht in dieser Ausgabe.
2. Die „Chronik der LKK", Nr. 29-30, schrieb über den Pfarrer der Gemeinde Kirdeiciai, Priester P. Krazauskas, nicht Krazanskas.
LITAUER, VERGISS NICHT!
Petras Plumpa, Nijolė Sadūnaitė, Ona Pranskūnaitė, Sergej Kowaljow, Viktoras Petkus u.a. tragen die Fesseln der Unfreiheit, damit du in Freiheit leben und glauben darfst!